Dieser Text erschien 2013 im Buch „GEDENKEN ABSCHAFFEN. Kritik am Diskurs zur Bombardierung Dresdens 1945.“
Seit nunmehr 15 Jahren findet in Dresden der sogenannte Trauermarsch anlässlich der Bombardierung der Stadt am 13./14. Februar 1945 statt. Waren es 1998 kaum mehr als 30 Nazis aus Dresden und Umgebung, die versuchten, geschlossen und mit Blumen und Kerzen in der Hand an die Frauenkirche zu gelangen, um dort an dem an dieser Stelle jährlich zelebrierten Gedenkritual teilzunehmen, hat sich der Aufmarsch in den folgenden Jahren zu einem Großereignis mit bis zu 7.000 Teilnehmer_innen entwickelt. Und nicht nur die Zahl der teilnehmenden Nazis hat enorm zugenommen, sondern auch die Bedeutung dieses Ereignisses für die Naziszene selbst, und damit setzte der Machtkampf um die Deutungs- und Gestaltungshoheit des 13. Februar innerhalb der Szene ein.
Warum hat Dresden eine solche Anziehungskraft für die Naziszene, dass sich zu diesem Anlass einer ihrer größten europäischen Aufmärsche entwickeln konnte? Auf diese Frage soll zunächst eingegangen werden, bevor ein chronologischer Überblick dieser Entwicklung gegeben wird.
Ein ideales Symbol
Für deutsche Nazis steht Dresden spektrenübergreifend für zweierlei: die Opferidentität der Deutschen und die Kriegsverbrechen der Alliierten. Damit bietet Dresden sinnstiftende Kernelemente neonazistischer Ideologie. Dresden sei »wie die Zerstörung zahlloser anderer deutscher Städte, das Produkt eines aus wirtschaftspolitischen Motivationen geführten Krieges gegen unser Volk«.1 »Deutsch« wird hier aus dem der nationalsozialistischen Ideologie immanenten völkischen Denken abgeleitet. Völkische Identität wird beschworen, wenn »das Gedenken und Erinnern [zu] einem wichtigen Grundpfeiler unserer Volksseele«2 erklärt wird und die Bombardierungen zu einem »alliierten Massenvernichtungsunternehmen«3 motiviert aus »eliminatorischen Antigermanismus«4 umgedeutet werden. Konstruiert wird eine deutsche Volksgemeinschaft als Opfergemeinschaft, die nur aufgrund ihres Deutschseins ausgelöscht werden sollte.5 Bewusst wird hier eine Terminologie gewählt, die bisher der Beschreibung der Shoah vorbehalten war. Die bei der Bombardierung deutscher Städte Zu-Tode-Gekommenen werden so gleichgesetzt mit jenen, welche der industriellen Vernichtung durch die Nationalsozialist_innen zum Opfer fielen – um im nächsten Atemzug ein angemessenes Gedenken an die »eigenen Opfer« und mit antisemitischer Konnotation ein Ende der auferlegten »Schuldknechtschaft« zu fordern. Gleichzeitig wird die alleinige Täterschaft den Alliierten zugeschrieben, deren »Kriegsverbrechen« jedoch »ungesühnt« seien – für die Szene eine Linie, die sich aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart erstreckt. Denn »die Gleichen, die damals keine Skrupel hatten, Abertausende Zivilisten kaltblütig umzubringen, kennen auch heute keine Skrupel. Von Dresden über Korea, Vietnam und Bagdad zieht sich eine Spur durch das 20. Jahrhundert, die sie auch mit noch so viel Niedertracht nicht den Deutschen in die Schuhe schieben können.«6 Das Feindbild ist klar – in anti amerikanischer Manier wird hier der eigenen Opferrolle die eindeutige Täter_innenrolle der »Weltpolizei« USA entgegengesetzt.
Die Bedeutung, welche Dresden innerhalb der Naziszene hat, erklärt sich also aus der Rolle, die die Ereignisse vom 13./14. Februar 1945 für die völkische Identitätsbildung, für die Selbststilisierung als Opfer und für die Konstruktion eines Feindbildes spielen. Aber warum gerade Dresden? Warum nicht Köln oder Hamburg? Es scheint, als ob Dresden von Anfang an das ideale Symbol hierfür war. Bereits unmittelbar nach der Bombardierung wurden Mythen kolportiert, die bis weit in die Gegenwart eine Rolle spielen: Dresden als unschuldige Stadt ohne Verteidigung und ohne kriegsrelevante Ziele, ein sinnloser Angriff kurz vor Ende des Krieges, völlig überhöhte Todeszahlen von 300.000. Überdies boten genau diese Mythen Anknüpfungspunkte an das bürgerliche Gedenken in Dresden. Denn auch in diesem war über Jahrzehnte diese Lesart der Bombardierung das dominierende Geschichtsbild. Und auch heute findet sich im öffentlichen Gedenken – wie bei den Nazis – die Selbststilisierung als Opfer, obgleich sich in Ersterem auch die Ablehnung des Nationalsozialismus artikuliert und statt nach Rache nach Versöhnung gerufen wird.
Den Höhepunkt des nazistischen, geschichtsrevisionistischen Gedenkens bildet der jährliche »Trauermarsch« in Dresden, der sich vom Versuch weniger Dutzend, einen Trauermarsch durchzuführen, zu einem der bedeutendsten europäischen Nazi-Aufmärsche entwickelte. Zwar gingen die Zahlen der Teilnehmenden aufgrund massiver Proteste und Blockaden in den vergangenen zwei Jahren deutlich zurück, doch dies ändert nichts am selbsterklärten Anspruch der Nazis als Sachverwalter des Gedenkens an Dresden aufzutreten.
Die Anfänge
Nachdem 1998 ein unangemeldeter Trauermarschs zur Frauenkirche kurz vor dem Ziel polizeibedingt stecken blieb, entschloss man sich für das folgende Jahr einen anderen Weg zu gehen. »In diesem Jahr wurde die Idee geboren, einen Gedenkmarsch zu organisieren, der größer und größer werden sollte«, heißt es abschließend im Bericht der Nazis über die Ereignisse am Abend des 13. Februar 1998.7
Folgerichtig fand 1999 der erste angemeldete Aufmarsch anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens statt. Die Junge Landsmannschaft Ostpreußen (JLO) zeichnete gegenüber der Stadt dafür verantwortlich. So versammelten sich am Abend des 13. Februar 1999 150 vornehmlich junge Nazis am Hauptbahnhof und marschierten über die Prager Straße zur Gedenkveranstaltung an der Frauenkirche. Dort angekommen schritten sie in Zweierreihen durch die trauernden Dresdner Bürger_innen, befestigen ihre Kränze an den Bauzäunen der sich im Wiederaufbau befindenden Frauenkirche und entzündeten Kerzen. Die von den Nazis verteilten Flugblätter, in denen von »250.000 Toten«, »Völkermord« und vom »größten Vernichtungsschlag aller Zeiten« zu lesen war, nahmen die Bürger_innen vielfach eher zustimmend als ablehnend entgegen. Und die Reihe der jährlichen Aufmärsche setzte sich fort, und sie wurden tatsächlich größer.
Ein Thema setzt sich durch
Im Jahr 2000 nahmen 500 Nazis am nächtlichen Trauermarsch, organisiert von JLO und NPD, teil. Unter ihnen erstmals bundesweite Prominenz der Naziszene, wie Franz Schönhuber oder Horst Mahler.
2001 war es die Landsmannschaft Schlesien – Nieder- und Oberschlesien – Landesverband Sachsen / Schlesische Lausitz e.V., welche unter dem Motto »Ehre den Opfern des Bombenterrors« nach Dresden rief. Knapp 800 Nazis verschiedenster Couleur reisten an: Vertriebenenverbände in Tracht und mit Fahnen, NPD und Freie Kameradschaften. In den folgenden zwei Jahre nahmen bereits 1.000 Alt- und Jungnazis an den Trauermärschen »in Gedenken an die Opfer des Bombenholocaust«8 teil. Mit Fackeln, Kerzen, Fahnen der ehemaligen deutschen Gebiete und Transparenten, auf denen »Bombenterror« und »Das war kein Krieg – das war Mord« zu lesen war, zogen sie Jahr für Jahr in den Abendstunden des 13. Februars um den Kern der Dresdner Innenstadt. Nur wenige Hundert Meter entfernt stellten Dresdner Bürger_innen Kerzen in Gedenken an die Opfer des »Bombenterrors des 13. und 14. Februar 1945«9 an die Frauenkirche. So wurden auch sie, wenngleich ungewollt, Teil der Szenerie.
Großer Aufmarsch – Viel Streit
Die Tradition, unmittelbar am Abend des 13. Februar zu demonstrieren, wurde 2004 erstmalig durchbrochen. Die JLO hatte sich als Veranstalter etabliert und sah so die Möglichkeit, den Aufmarsch zahlenmäßig zu vergrößern, und somit auch ihre eigene Wirkungsmacht in der Szene. Und so sollte fortan der »Trauermarsch« an einem Samstag um den 13. Februar herum stattfinden. In der Tat marschierten 2.100 Nazis aus dem gesamten bundesweiten Spektrum am 14. Februar durch die Stadt.
Knapp 200 Nazis, vornehmlich aus Dresden, hielten jedoch am traditionellen Abendmarsch am 13. Februar fest. Nur da sei das Gedenken »authentisch«. Der JLO warf man indes »Politisierungsversuche« vor. Dort hätten zu viele Redner_innen zu lang über zu viele Themen, jedoch nicht zum eigentlichen Anlass gesprochen.
Diese Gräben vertieften sich im Folgejahr. Die NPD war in den sächsischen Landtag eingezogen, und im Januar 2005 sorgte Jürgen W. Gansel mit seiner »Bomben-Holocaust«-Rede zur Gedenkstunde an die Opfer des Nationalsozialismus im Landtag für einen Eklat. Holger Apfel, der Fraktionsvorsitzende, übernahm nun die Schirmherrschaft des Aufmarschs, und die NPD inszenierte den 13. Februar im Sinne ihrer Politik der »rechten Volksfront«. Die Einheit der rechten Szene sollte nach außen getragen werden, was besonders unter den Freien Kräften für starken Unmut sorgte, fühlten diese sich doch von NPD und DVU vereinnahmt. Die Grenzen des Projektes »rechte Volksfront« – der Versuch, ein Miteinander innerhalb der »nationalen Opposition« zu etablieren, unabhängig von Organisations- oder Aktionsform sowie ideologischen Unterschieden – sind selten so deutlich geworden, wie an diesem Tag. Dennoch war der »Trauermarsch« am 13. Februar 2005 einer der größten Naziaufmärsche der deutschen Nachkriegsgeschichte: 6.500 Nazis kamen an diesem Sonntag nach Dresden.
2006 sollte an diesen Mobilisierungserfolg angeknüpft werden. Obgleich es mit 4.700 Teilnehmenden wieder ein Großaufmarsch wurde, waren an diesem 11. Februar doch deutlich weniger Nazis als im Vorjahr nach Dresden gekommen. Zudem hatten die Gegenproteste10 erstmals unmittelbare Auswirkungen auf den Marsch: Etwa 800 Menschen blockierten erfolgreich die Route der Nazis. Die unentschlossene Haltung der JLO als Organisatorin während der Blockade brachte den schwelenden Streit zwischen »Freien« auf der einen, und JLO und NPD auf der anderen Seite zum Kochen. Militante Nazis aus dem Spektrum Freier Kameradschaften hatten versucht, die Ketten der Polizei zu durchbrechen, um die Demonstration in völliger Verkennung der Lage fortzusetzen. Die ausbleibende Unterstützung durch NPD und JLO und deren »feiges« Verhalten gegenüber der Polizei machten sie denen nun zum Vorwurf. Schon vorab waren etwa 800 Nazis aus dem Spektrum der Freien Kräfte Sachsens, Sachsen-Anhalts und Berlins – einer Machtdemonstration gleich – gewissermaßen als »Demonstration vor der Demonstration« durch Dresden zum Treffpunkt der JLO gezogen.
»Ein würdiges Gedenken«
Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für den »Trauermarsch« rückte in den Mittelpunkt der Diskussion und damit auf den ersten Blick die Debatte um Qualität vs. Quantität.
In diesem Zusammenhang wurde das Aktionsbündnis gegen das Vergessen (AgV) von überwiegend parteifreien Nazis gegründet, um eigene Akzente zu setzen. »Es geht uns als Aktionsbündnis nicht um möglichst große Teilnehmerzahlen an einem dem eigentlichen Datum völlig entrückten Termin. Dies gilt es zu verdeutlichen.«11 Insbesondere der JLO wurde vorgeworfen, »das Ziel einer Massenveranstaltung mit ›Event-Charakter‹« verfolgt zu haben und »den Inhalt dieses Tages aus den Augen verloren zu haben.«12
Das bis heute aktive Bündnis stellte sich als spektrenübergreifender Zusammenschluss dar. Entsprechend fanden sich hier neben den dominierenden Freien Kräften Mitglieder des (inzwischen in den Kreisverband der NPD überführten) Nationalen Bündnis für Dresden e.V. ebenso wie einzelne Junge Nationaldemokraten und NPDler_innen sowie Einzelpersonen. Gegen die Kleinstorganisation JLO, die der folgenden Debatte schon personell nicht gewachsen war, und gegen die NPD setzte sich das Aktionsbündnis schließlich durch. 2007 fand der Aufmarsch erstmals seit 2003 wieder an nur einem Termin und unter der Woche statt. Das hatte deutliche Auswirkungen: Mit lediglich 1.600 bis 1.800 Teilnehmenden fanden deutlich weniger als in den Vorjahren den Weg nach Dresden. Auch dem eigenen Anspruch an eine »würdige Gedenkveranstaltung« konnte das AgV nicht gerecht werden. Unter ständigem antifaschistischen Protest war an ein ruhiges Gedenken kaum zu denken. Darüber hinaus wurde der Aufmarsch sowohl optisch als auch inhaltlich von der NPD dominiert. Das lag zum einen daran, dass die Transparente des Aktionsbündnisses durch die Polizei beschlagnahmt wurden, und zum anderen daran, dass die NPD neben der Demo spitze fast alle Redner_innen stellte. Und so räumte das AgV im Nachhinein selbstkritisch ein: »Beim abendlichen Trauermarsch am 13. Februar, konnte das Aktionsbündnis kaum Akzente setzen.«13 Zumindest aber war zunächst der Machtkampf zwischen den Freien Kräften auf der einen und JLO und NPD auf der anderen Seite entschieden worden: Das Aktionsbündnis gegen das Vergessen hatte sich etabliert und durchgesetzt.
Gleichzeitig verdeutlicht dessen Gründung einmal mehr die seit Jahren schwelenden Differenzen um die Deutungshoheit. Auch dem AgV geht es schlussendlich um die Definition und Ausgestaltung des 13. Februar als Szene-Großereignis, wobei sie aber für sich in Anspruch nehmen, als Einzige das »würdige Gedenken an die Opfer der Bombenangriffe auf Dresden«14 zu gewährleisten.
Kein Ende in Sicht?
2008 führte der Grabenkampf zum endgültigen Bruch. Seither finden jährlich wieder zwei Aufmärsche statt. Einer am 13. Februar selbst und ein Großaufmarsch am Wochenende.
Dies lag einerseits an der Wertung des Vorjahres als Misserfolg mit zu wenig Teilnehmer_innen und zu viel Protest, andererseits am Festhalten des AgV an der Forderung nach dem Gedenken an die Opfer der Angriffe auf Dresden »mit einem großen Trauermarsch direkt am 13. Februar«, denn es vertrat »den Standpunkt, dass bestimmte Daten wie beispielsweise der Volkstrauertag, der 8. Mai oder eben der 13. Februar für uns als Volk, also als biologisch gewachsene Schicksalsgemeinschaft, von elementarer Bedeutung sind.«15 So marschierten am Abend des 13. Februar circa 1.000 Nazis vornehmlich aus dem Spektrum der regionalen Freien Kräfte und am 16. Februar 4.500 Neonazis aller Spektren der bundesdeutschen Rechten.
Seine Anziehungskraft für die militante Naziszene zog der unter der Woche stattfindende Aufmarsch des Aktionsbündnisses nicht zuletzt aus seiner Selbstinszenierung als nationalsozialistischer Marsch: Mit Fackeln, Trommeln, schwarzen Fahnen sowie Skelettkostümen und Kreuzen, untermalt von Wagnermusik zogen auch 2009 wieder 1.100 Freie durch die Stadt. Am Ort der Dresdner Bücherverbrennung vom 8. März 1933, am Wettiner Platz, hielten sie ihre mit Fackeln beleuchtete Zwischenkundgebung ab. Am folgenden Samstag strömten 7.000 Nazis aus Deutschland und Europa nach Dresden. Endgültig war nun auch die europäische Wirkung des 13. Februar deutlich geworden.
2010 fiel der 13. Februar direkt auf einen Sonnabend und 6.500 Nazis reisten nach Dresden. Aufgrund massiver Proteste erreichten jedoch nur etwa 1.000 den Aufmarschort am Neustädter Bahnhof.16 Am Stadtrand sammelten sich mehrere Tausend und zogen angeführt von altbewährten NPD- und Kameradschaftsstrukturen mehrere Kilometer in Richtung Treffpunkt. Die unübersichtliche Situation zwang schlussendlich die Polizei, den Aufmarsch zu untersagen und die Neonazis aufzuhalten.
Im folgenden Jahr 2011 konnte das Aktionsbündnis zwar mit 2.000 Nazis einen deutlichen Zuwachs der Teilnehmer_innenzahlen aufweisen, ihre Marschroute wurde aber durch Sitzblockaden erheblich verkürzt. Und auch der Großaufmarsch am 19. Februar wurde erneut von Protesten verhindert. Ohnehin waren nur noch knapp 3.000 Nazis überhaupt nach Dresden gereist. Nach dem Fiasko von 2010 hatte die Szene zwar versucht, ihr Konzept anzupassen, scheiterte aber kläglich. Obwohl gleich drei verschiedene Anlaufpunkte angemeldet wurden, die die Wirkung der Gegenproteste aufspalten sollten, konnte nur einer davon von wenigen Nazis erreicht werden. Die mit Bussen Angereisten wichen auf einen Vorort aus und bedienten sich erneut des Vorjahreskonzepts »Marsch auf die Stadt«, ergänzt um die Übernahme des Finger konzepts. Von Freital aus schafften es 2.000 Nazis auf verschiedenen Wegen, organisiert in farblich markierten Gruppen, sich am Spätnachmittag im Dresdner Süden zu sammeln – um dann allerdings sogleich wieder abzureisen.17
Auch der bisher letzte 13. Februar im Jahr 2012 war ein Desaster für die Nazis. Die JLO scheiterte als Organisatorin und musste kurzfristig den geplanten Großaufmarsch absagen. Und zum Aktionsbündnis-Fackelmarsch erschienen nur etwa 1.500 Teilnehmende, die zudem nur eine kurze und immer wieder unterbrochene »Runde um den Block« laufen konnten. Proteste verhinderten die vorgesehene Demonstration. Im Nachhinein hagelte es Kritik: Frustriert war die Rede von der »Frechheit 1 ½ Stunden auf der Straße gewesen zu sein und einen Kilometer marschiert«, die Zahl der Ordner sei zu gering gewesen, und diese seien zudem unfähig gewesen, die Disziplin im Aufmarsch sei unwürdig, die Polizei zu omnipräsent, die Anreise unter der Woche zu umständlich gewesen. Die Liste ist lang, die Debatte heftig. Deutlich wird darin vor allem eines: Offenbar ist die sächsische Szene derzeit nicht in der Lage, einen Großaufmarsch, wie er noch vor wenigen Jahren die Regel war, um- und vor allem gegen die massiven Proteste durchzusetzen. Von einem Ende des Themas 13. Februar für die Naziszene kann insgesamt aber nicht die Rede sein.
»Ein Licht für Dresden«
Neben dem abendlichen Aufmarsch etablierte das Aktionsbündnis gegen das Vergessen seit 2007 auch eine sogenannte Aktionswoche. Es ginge darum, »den Sinn für die historischen Ereignisse sowohl nach Innen als auch nach Außen zu schärfen und eine geistige Auseinandersetzung mit dem Thema ›13. Februar 1945‹ anzuregen«18. Innerhalb von sieben Tagen rund um den 13. Februar wird mit szenetypische Aktionen die Öffentlichkeit gesucht: Kranzniederlegungen, Kreuzaufstellungen, schwimmende Kerzen auf der Elbe, Schnipsel im Kaufhaus, Kreativaktionen, wie Performances im Skelettkostüm, Plakatekleben, Infostände und Saalveranstaltungen. Die überregionale Bedeutung, die die Szene dem 13. Februar beimisst, wird auch daran deutlich, dass während der »Aktionswoche« bundesweit Aktivitäten zu verzeichnen sind. Diese ermöglichen auch denen, die nicht nach Dresden fahren können, eine Form der Teilnahme. So werden Mahnwachen und kleine Demonstrationen abgehalten, Transparente an Straßen aufgehangen, Parolen gesprüht, denn es gilt, »sich […] solidarisch zu zeigen und unter dem Motto ›Ein Licht für Dresden‹ eigenständige Aktionen durchzuführen. Vielfältige Möglichkeiten sind hierzu gegeben und reichen von Mahnwachen über Trauer- und Gedenkmärsche bis hin zu kreativen Einzelaktionen.«19 Obgleich dies in der Regel nur Klein- und Kleinstaktionen mit wenigen Dutzend Teilnehmer_innen sind, die ihre Wirkung obendrein hauptsächlich im Internet entfalten, deuten sie doch auf die Tendenz hin, den 13. Februar als bundesweiten Aktionstag zu etablieren.
Fußnoten
- Aktionsbündnis gegen das Vergessen, »Nacht zieht über Dresden« vom 08.10.2008; http://web.archive.org/web/20090226222935/http://freie-offensive.net/agdv/index.php?seite=aktuelles&aktuelles=2008_10_08-1 (zuletzt eingesehen 01.09.2012).
↩︎ - Aktionsbündnis gegen das Vergessen, »Die Toten mahnen uns! – Ihr Opfer ist unser Auftrag!« vom 25.10.2008; http://web.archive.org/ web/20090226222941/ http://freie-offensive. net/ agdv/index.php?seite=aktuelles&aktuelles=2008_10_25-1 (zuletzt eingesehen 01.09.2012).
↩︎ - Lausitz-Infos, »Der Bombenterror gegen Deutschland«; http://web.archive.org/web/20091003220338/http://freie-offensive.net/agdv/index.php?seite= aktuelles&aktuelles= bombenterror (zuletzt eingesehen 01.09.2012) ↩︎
- Jürgen Gansel in der Landtagssitzung vom 21.01.2005, Sächsischer Landtag: Plenarprotokoll 4/8, S. 463. ↩︎
- Vgl. Alexander Kleber: »Den Geschichtsklitterern entgegentreten«, National Zeitung, 08.03.2005. ↩︎
- Holger Apfel in der Landtagssitzung vom 21.01.2005, Sächsischer Landtag: Plenarprotokoll 4/8, S. 461. ↩︎
- »Etwa 100 Jugendliche am Trauern gehindert«, auf: http://massenmord.narod.ru/ (zuletzt eingesehen 30.08.2012). ↩︎
- Vgl. »Aufruf der JLO zum sogenannten Trauermarsch am 13. Februar 2002«. ↩︎
- Vgl. die 2002 von der Stadt Dresden erlassene Allgemeinverfügung. Ab dem Jahr 2000 untersagte die Stadt Dresden Jahr für Jahr mittels einer sogenannten Allgemeinverfügung sämtliche Versammlungen am 13. Februar zwischen 12 Uhr und 24 Uhr im Innenstadtbereich. ↩︎
- Siehe dazu den Beitrag »Chronologie der Proteste« in diesem Band. ↩︎
- Im Gespräch mit der Zeitschrift Hier & Jetzt vom 18.12.2006; http://web.archive.org/web/20081228004838/http://freie-offensive.net/agdv/index.php?seite=aktuelles&aktuelles=2006_12_18-1 (zuletzt eingesehen 01.09.2012). ↩︎
- Ebd. ↩︎
- »Nachbetrachtung ›Aktionswoche 13. Februar‹« vom 05.03.2007, auf: http://web.archive. org/web/20081228003835/http://freie-offensive.net/agdv/index.php?seite=aktuelles&aktuelles=2007_03_05-1 (zuletzt eingesehen 01.09.2012). ↩︎
- Wir über uns, auf: http://www.gedenkmarsch.de/dresden/wir-uber-uns (zuletzt eingesehen 30.08.2012). ↩︎
- »Aktionsbündnis gegen das Vergessen zum 13. Februar 2008«; http://www.infoportal24.org/index.php/menue/24/thema/69/id/5707/anzeigemonat/12/akat/1/anzeigejahr/2007/infotext/Aktionsbuendnis_gegen_das_Vergessen_zum_13.Februar_2008/Archiv.html (zuletzt eingesehen 01.09.2012). ↩︎
- Der Treffpunkt ist von der Stadtverwaltung kurzfristig vom Hauptbahnhof verlegt worden, weil rings um diesen zahlreiche Protestkundgebungen angemeldet waren. ↩︎
- Vgl. Antifa Rechercheteam Dresden, »Lose Finger sind keine Faust«, Review, 18, Frühjahr 2011, auf: http://venceremos.sytes.net/artdd/reviews/review_18/lose-finger-sind-keine-faust.html (zuletzt eingesehen 01.11.2012). ↩︎
- Vgl. http://web.archive.org/web/20070808071050/http://www.aktionsbuendnis-gdv.de/index.php?seite=aktionswoche&aktionswoche=start (zuletzt eingesehen 01.09.2012). ↩︎
- Aktionsbündnis gegen das Vergessen, »Ein Licht für Dresden«; http://web.archive.org/web/20070206064413/http://www.aktionsbuendnis-gdv.de/index.php?seite=ein_licht (zuletzt eingesehen 01.09.2012). ↩︎